Kiezmagazin für Lankwitz & Lichterfelde
Kollage mit ehemaligem Rathaus Lichterfelde

Verwaltungsinsel Lichterfelde

Artikel aus 02|2018


Kampf um Fortschritt in Groß-Lichterfelde

Schule, Rathaus, Feuerwehr

In dem Karrée zwischen Ostpreußendamm, Schiller-, Goethe- und Königsberger Straße ist ab 1882 nach und nach eine „Verwaltungsinsel“ entstanden, die mitten im Herzen der Gemeinde alle wichtigen Gebäude mit kurzen Wegen vereinte. Hätten die damaligen Kontrahenten aus alteingesessenen Bauern und zugezogenen Villenbewohnern der Carstenn’schen Siedlung gewusst, dass ihrem stolzen Rathaus nur rund 50 Jahre Bestehen vergönnt sein werden, hätten sie sich wahrscheinlich eher und kostengünstiger geeinigt. Denn der Konflikt ging immer wieder darum, wie die Gemeindegelder verwendet werden sollten, da zu dieser Zeit eigentlich alles im Argen lag. Aber der Reihe nach:

Mit königlicher Genehmigung wurde am 2. Mai 1878 aus den Gütern Giesensdorf und dem Terrain der Villenkolonie Lichterfelde die neue Landgemeinde Groß-Lichterfelde gegründet. Erst zwei Jahre später entschlossen sich die Bewohner des alten Dorfes Lichterfelde, die ihren Anger um die Dorfkirche am heutigen Hindenburgdamm hatten und die den Unternehmungen lange misstrauisch gegenüber standen, ebenfalls der neuen Gemeinde beizutreten. Die Verwaltung übernahm der alte Gemeindevorsteher Schmidt, Bauer aus Giesensdorf, der die Tätigkeit bis zur Eröffnung des neuen Rathauses 1894 in zwei Stübchen seines Hauses weiterführte. Im Lokal-Anzeiger dieser Zeit wird erwähnt, dass die Gemeinde zum weiteren „Emporblühen“ dringend folgende Einrichtungen erlangen muss: „ein Gymnasium, anständige Volksschulen, ein Rathaus, eine freiwillige Feuerwehr und ein Pflaster, das sich sehen lassen kann …“.

Karte von Groß-Lichterfelde ca. 1915

Ein eigenes Schulgebäude

Mit dem Rathaus sollte es noch gut zehn Jahre dauern, aber immerhin wurde 1881 in den dürftigen Räumen über einer Schlachterei an der Wilhelmstraße (Königsberger Straße) Ecke Jungfernstieg eine höhere Knabenschule für 40 Schüler und vier Lehrer gegründet. Zwar bestanden sowohl in Lichterfelde als auch in Giesensdorf zwei Dorfschulen von „primitiver Beschaffenheit“ sowie eine Mädchenschule, die mit privatem Engagement von „Fräulein Krahmer“ unterhalten wurde, aber diese genügten den Ansprüchen an eine weitergehende Bildung der Neusiedler nicht. Nach heftigen Auseinandersetzungen stellte man einen Antrag auf ein eigenes Schulgebäude an die Regierung in Potsdam und konnte schließlich am 20. April 1885 das Progymnasium an der Berliner Straße (Ostpreußendamm) Ecke Wilhelmstraße (Königsberger Straße) als erstes öffentliches Gebäude der jungen Landgemeinde eröffnen. Über die Jahre entwickelte es sich zum humanistischen Vollgymnasium und wurde 1905 mit zwei Anbauten erweitert: Turnhalle und Aula am linken Flügel sowie das Rektorenhaus an der Kreuzung. Gleichzeitig erhielt es, im hundertsten Todesjahr des Dichters, den Namen Schillergymnasium. (Heute werden hier junge Europakaufleute durch das OSZ Bürowirschaft 1 ausgebildet.)

Endlich ein Rathaus

Wie oben erwähnt, verfügte die Gemeinde über keine geeigneten Räume, um ihre Verwaltungstätigkeiten auszuüben. Die Sitzungen der Gemeindevertreter fanden meist in einem Raum des Anhalter Bahnhofes am Jungfernstieg statt, bzw. nach 1891, als durch die neue Landgemeindeordung alle Beratungen öffentlich abgehalten werden mussten, in der Aula des Gymnasiums. Diese Zustände waren der vornehmen Villenkolonie nicht mehr angemessen und es entbrannte wieder ein Streit um die Notwendigkeit von Investitionen. Schon früher hatte man sich neben dem Gymnasium an der Schillerstraße und Berliner Straße ein Grundstück gesichert. Die Befürworter eines Entwurfes des geheimen Baurats Herman Bohl setzten sich durch und mit einer Bauzeit von nur zwei Jahren wurde das Rathaus 1894 mit einem mächtigem Eckturm, fünf hohen Spitzbogenfenstern mit darüber liegenden Giebeln und einem von Wilhelm Oskar Herwarth und Paul Lüders reich ausgemalten Rathaussaal eingeweiht.

Alle großen öffentlichen Bauten dieser Zeit hatten eine gemeinsame architektonische Formensprache. Schule und Rathaus und später auch die Petruskirche am Oberhofer Platz wurden im gotischen Stil mit roten Verblendsteinen, gegliederten Fassaden, Türmen und steilen Dächern versehen. Im Krieg wurde das Rathaus fast völlig zerstört und später abgerissen. Der rückwärtige Anbau, (1914/17 von Richard Tietzen) wurde Anfang der 50er Jahre wieder aufgebaut und beherbergte später verschiedene Ämter. Seit 2008 nutzt es die Victor-Gollancz-Volkshochschule, die es im letzten Jahr komplett sanierte.

Die Feuerwehr

Das ganze hier beschriebene Areal ist im Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen worden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Feuerwache in der Goethestraße 7, die ebenfalls Ende des vorletzten Jahrhunderts hier eingezogen war, heute nur noch mit einem vermeintlich unspektakulären Nachkriegsbau vertreten ist. Obwohl man es dem grauen Zweckbau nicht ansieht, steht es gemeinsam mit Schule und Volkshochschulgebäude unter Ensemble-Denkmalschutz. Architekt war hier u. a. Bruno Grimmek (1902-1969), dessen Schaffen z. B. im Palais am Funkturm, im Amerika-Haus, im Gebäude der TU Berlin sowie in mehren U-Bahnhöfen der Linien U3 und U9 zu sehen ist.


Text: Jutta Goedicke.

Fotos und Kollage mit altem Rathaus: Philipp Bernstorf

historische Aufnahmen: Archiv Wolfgang Holtz